690.

By Nicolas Müller, 30 December, 2024
Subtitle
Guru Stotram
Body

brahmānandaṃ parama-sukha-daṃ kevalaṃ jñāna-mūrtim
dvandvātītaṃ gagana-sadṛśaṃ tat-tvam-asy-ādi-lakṣyam /
ekaṃ nityaṃ vimalam acalaṃ sarva-dhī-sākṣi-bhūtam 
bhāvātītaṃ tri-guṇa-rahitaṃ sad-guruṃ taṃ namāmi // 1 //
 

Wörtliche Übersetzung: Vor dem, der die Glückseligkeit des brahman ist, der höchstes Glück verleiht, dem Einzigen, dem personifizierten Wissen, der über den Gegensätzen steht, der dem Himmel ähnelt, der zu betrachten ist als (das, was in) 'das bist du' usw. (ausgedrückt ist), dem Einen, ewigen, makellosen, festen, der Zeuge aller Gedanken ist, der über dem Werden (der Welt) steht, der ohne die drei guṇas ist, dem wahren Lehrer verneige ich mich.

caitanyaṃ śāśvataṃ śāntaṃ ' nirākāraṃ nirañjanam /
nāda-bindu-kalātītaṃ ' tasmai śrī-gurave namaḥ // 2 //

Das reine Bewusstsein, das ewige, friedvolle, formlose, reine, das über nāda, bindu und kalā steht - diesem verehrten Lehrer [sei] Verneigung.
 

gurur brahmā gurur viṣṇur ' gurur devo maheśvaraḥ /
guruḥ sākṣāt paraṃ brahma ' tasmai śrī-gurave namaḥ // 3 //
 

Der Lehrer [ist] Brahmā, der Lehrer [ist] Viṣṇu, der Lehrer [ist] der Gott Maheśvara, der Lehrer [ist] das sichtbare höchste brahman - diesem verehrten Lehrer [sei] Verneigung.

ajñāna-timirāndhasya ' jñānāñjana-śalākayā /
cakṣur unmīlitaṃ yena ' tasmai śrī-gurave namaḥ // 4 //

Durch welchen mit dem Kollyrium-Stäbchen des Wissens das Auge dessen geöffnet wurde, der durch die Dunkelheit des Unwissens blind war - diesem verehrten Lehrer [sei] Verneigung.

dhyāna-mūlaṃ guror mūrtiḥ ' pūjā-mūlaṃ guror padam /
mantra-mūlaṃ guror vākyam ' mokṣa-mūlaṃ guroḥ kṛpā // 5 //

Die Grundlage der Meditation ist die Gestalt des Lehrers, die Grundlage der pūjā sind die Füße des Lehrers, die Grundlage des mantra sind die Worte des Lehrers, die Grundlage der Befreiung ist die Gnade des Lehrers.

oṃ namaḥ śivāya gurave ' sac-cid-ānanda-mūrtaye
niṣ-prapañcāya śāntāya ' (śrī) śivānandāya te namaḥ // 6 //
(śrī viṣṇu-devānandāya te namaḥ // 7 //)

Dem Lehrer Śiva, der (sichtbaren) Gestalt von Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit, der frei von weltlicher Illusion ist, friedvoll, Dir, Sivānanda, Verneigung, (Dir, Viṣṇudevānanda, Verneigung). 

mātā ca pārvatī devī ' pitā devo maheśvaraḥ / 
bāndhavāḥ śiva-bhaktāś ca ' sva-deśo bhuvana-trayam // 8 //
namaḥ pārvatī-pataye hara hara mahā-dev(a) // 9 //

Und die Mutter [ist] Göttin Pārvatī, der Vater Gott Śiva, die Verwandten [sind] die Verehrer Śivas, die Heimat die Gruppe der drei Welten. Verneigung dem Ehemann der Pārvatī, oh Hara, Hara, Mahādev!

oṃ sarva-maṅgala-māṅgalye ' śive sarvārtha-sādhike /
śaraṇye tryambake gauri ' nārāyaṇi namo'stu te // 10 //
[nārāyaṇi namo'stu te]

Die Du zum Glück allen Glücks gehörst, Śivā, die Du jedes Ziel erlangst, Schutz gewährende, Tryambakā, Gaurī, Nārāyaṇī, Dir soll Verneigung sein!

Bedeutung

Guru Stotra ist die Anrufung des Gurus, des spirituellen Lehrers. Guru Stotra öffnet den Aspiranten für eine höhere Führung. Guru Stotra ist eine Ansammlung von Shlokas (Strophen) aus der Guru Gita, ein Gesang zur Verehrung des Gurus. Aus dieser Guru Gita sind verschiedene Shlokas ausgewählt worden. Wir folgen bei Yoga Vidya der Guru Stotra, wie sie Swami Vishnu-devananda gerne gesungen hat und wie er sie von Swami Sivananda gelernt hat. Insgesamt sind es sieben Shlokas, die im engeren Sinne zur Guru Stotra gehören und dann wird noch die Mahadeva Shloka dazu gefügt und die „Sarva Mangala Mangalye“-Shloka.
 

In den ersten drei Strophen wird der Guru verehrt als derjenige, der das Höchste verwirklicht hat, die höchste Wonne von Brahman, die höchste Freude. Er ist die Verkörperung des Wissens, jenseits aller Dualitäten, allumfassend wie der Raum und er hat "Tat Tvam Asi" verstanden - „das bist du“. Dieser Guru ist eins, ewig, ohne irgendwelche Unreinheiten. Er ist über alle Elemente hinaus gewachsen. Er ist reines Bewusstsein, Wahrheit ohne Form. Diesem Guru sei Ehrerbietung. 

Man könnte diese ersten drei Strophen so interpretieren, dass das Unendliche, das Ewige der Guru ist. Denn die Guru Stotra richtet sich nicht notwendigerweise an den persönlichen Guru, sondern an den Lehrer an sich.

Die nächsten drei Strophen rufen den Guru an, mit der Bitte, einen konkret zu führen. Und so wird gesagt, der Guru ist Brahma (Schöpfer), der Guru ist Vishnu (Erhalter), der Guru ist Deva Maheshwara, Shiva (Zerstörer). Das heißt, dass der Guru der Schöpfer unseres spirituellen Strebens, der Beschützer unserer Bestrebungen und der Zerstörer unserer schlechten Eigenschaften ist. Der Guru manifestiert sich in allem, was neu geschaffen wird. Der Guru manifestiert sich in dem, was bleibt. Der Guru manifestiert sich auch in dem, was verschwindet. Dabei bleibt der Guru stets Sakshi, Beobachter.

In der fünften Strophe, „Ajnana Timirandhasya“, wird der Guru angerufen als derjenige, der uns befreit von dem blindmachenden Katarakt der Unwissenheit, der uns wie ein Chirurg den Katarakt der Unwissenheit aus dem Auge entfernt. 

Die sechste Shloka, „Dhyana Mulam Guror Murthih“, ist eine Aufforderung an den Aspiranten, er selbst möge, sich die Gestalt des Gurus vergegenwärtigen, bevor er meditiert. Er möge sich vor jeder Puja die Füße des Gurus vergegenwärtigen. Wann immer er ein Mantra wiederholt, möge er sich die Worte des Gurus vergegenwärtigen. Wenn man also beginnt, das Mantra zu wiederholen, kann man sich nochmal vergegenwärtigen, wie der Guru einem das Mantra wiederholt hat. Und wenn man sich die Gnade des Gurus vergegenwärtigt, darum bittet, dann führt das zur Befreiung.

Im siebten Vers vergegenwärtigt man sich die Gurus unserer Tradition, Swami Sivananda und Swami Vishnu-devananda. Wir verehren den Guru als Manifestation von Shiva, als Manifestation von Satchidananda, als jemand, der jenseits aller Fünfheiten, Nishprapanchaya, ist - jenseits der fünf Elemente, jenseits der fünf Koshas, jenseits der fünf Bedingtheiten, jenseits der Kleshas. Wenn wir den Guru verehren, verehren wir keinen Körper, keinen Charakter, sondern die Verkörperung des Unendlichen und des höchsten Friedens.

Das ist die eigentliche Guru Stotra, aber bei Yoga Vidya singen wir meistens danach noch die „Matacha Parvati Devi“-Shloka, auch Mahadeva Shloka, in der die göttliche Mutter und der göttliche Vater, Parvati und Maheshwara, angerufen werden. Die Guru Stotra schließt mit einer Mangala Charana Shloka, nämlich der Narayana Shloka, mit der man um Wohlergehen für alle Wesen bittet.

Die Guru Stotra kann man vor der Meditation, nach der Meditation rezitieren und wann immer wir Führung brauchen - wann immer wir uns daran erinnern, dass wir göttliche Führung anrufen wollen.